Wildschweine im Garten

Über die Populationsentwicklung der Wildschweine im Allgemeinen:

(Quellen: 1. Internet www.wdr.de "Steinzeitjagd gegen zu viele Wildschweine"; WDR Wissen/Natur/Wildschweinvermehrung, 26.10.2016; 2. Internet www.fv-berlin.de., Auszug aus einer Studie des Berliner Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung, Milena Stillfried, "Das Erfolgsgeheimnis der Berliner Wildschweine" von 2017, 3. www.jagd.it, Dr. Claudia Bieber u. Prof. Dr. Thomas Ruf, "Populationsökologie des Schwarzwildes", 4. www.focus-online.de, Christina Steinlein in Focus online, "Die Zahl der Wildschweine explodiert – Mitschuld der Jäger"“ ; 5. Josef H. Reichholf, Stadtnatur, München, oekom 2007)

Laut Michael Petrak haben Wildschweine mittlerweile die beachtliche Vermehrungsrate von 200 bis zu 300 %. Der Wildbiologe arbeitet für das Landesamt Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW und leitet dort die Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung.

Seiner Meinung nach hat diese drastisch gestiegene Zuwachsrate der letzten Jahre einerseits mit dem Klimawandel und den damit verbundenen milderen Wintern zu tun. Andererseits macht der Wildexperte das üppige Futterangebot – insbesondere den extensiven Maisanbau in der Landwirtschaft – dafür verantwortlich. Als „Fast-Food-Restaurants“ für Wildschweine bezeichnet Petrak diese idealen Bedingungen in den Feldern, in denen die Schweine zugleich Deckung und Futter finden.
Private Gärten seien für die intelligenten Tiere nicht nur wegen des vielfältigen und überreichlichen Futterangebots attraktiv, sondern weil sie sich hier in großer Sicherheit bewegen und versorgen können. Der Stress für die Tiere hält sich in engen Grenzen, denn in den Gärten können die Schweine sich bequem aufhalten.

Das reichliche Futterangebot in Wald, Feld und Garten bewirkt laut Petrak ein schnelleres Wachstum der einzelnen Tiere. Dies wiederum hat eine schnellere Geschlechtsreife zur Folge. Andreas König von der Arbeitsgruppe Wildtierbiologie und Wildtiermanagement an der TU München betont, dass ab ca. 40 bis 50 kg Körpergewicht die Tiere fortpflanzungsfähig sind. Das bedeutet, dass auch Überläufer-Bachen mit einem nur ¾ jährigen Lebensalter bereits Frischlinge gebären können und dies auch tun.

Über die Populationsentwicklung der Wildschweine im Besonderen, betreffend das Tübinger Stadtgebiet Hangseite Engelfriedshalde, Käsen- und Öhlerbach:

Wie uns bekannt, halten sich einige (momentan – September 2018 - weiß niemand wie viele) Wildschweine mittlerweile dauerhaft hier auf und versorgen sich mit Nahrung aus den "geschützten Selbstbedienungsläden" (Petrak) der privaten Gärten und Grundstücke.
Laut Aussage des Wildtierbeauftragten des Landkreises Tübingen bei der Begehung des Gartens Birgit Metzen am 13.07.18 ist dieses gesamte Gebiet geradezu als „ideal“ für Wildschweine einzustufen. Das bedeutet nicht nur ein aktuell üppiges und das gesamte Jahr über gutes Futterangebot und umfassenden Schutz (, da befriedeter Bezirk), sondern auch Idealbedingungen bezüglich ihrer Fortpflanzung.
Die erwachsenen Wildschweine und die Überläufer des Sommers und Herbstes 2017 sind vom Schönbuch-Wald zugewandert. Dagegen sind die Jungtiere dieses Jahres (also 2018) hier im genannten Gebiet geboren und können als Stadtschweine bezeichnet werden.

Eine explosionsartige Vermehrung:

Das bedeutet, dass wir folgende Hochrechnung anstellen können: Ausgehend von 2 aus dem Wald zugewanderten, geschlechtsreifen Überläufer-Bachen im Frühjahr 2017 - im hier beschriebenen und oben genannten Stadtgebiet - werden wir bei einem Wurf pro Jahr mit jeweils 2 weiblichen Tieren, im Frühjahr 2020 - also innerhalb von 3 Jahren- eine Population von mindestens 64 Stadtschweinen ( 32 weibliche plus 32 männliche Tiere) haben.
Der Einfachheit halber habe ich mit (Vierer-)Würfen mit jeweils 2 weiblichen und zwei männlichen Frischlingen gerechnet. Würde es 2 Würfe pro Jahr geben und diese größer ausfallen mit beispielsweise jeweils 3 weiblichen Frischlingen, wäre die daraus resultierende Population entsprechend größer.
Die vorgenommene Hochrechnung entspricht einer Vermehrungsrate von 200 % pro Jahr.
Da es sich bei dem o.g. Gebiet um einen sehr günstigen Lebensraum für Sauen handelt, wird diese Gegend einen hohen Schwarzwildbestand tragen können.

Es versteht sich von selbst, dass es sich bei dieser hochgerechneten Anzahl von Stadtschweinen nicht um die Zahl aller vorhandenen Schweine im Stadtgebiet Tübingens handelt. Es werden sich noch mehr Tiere im gesamten Stadtgebiet aufhalten, die sich ähnlich explosionsartig vermehren. Die Zahlen sprechen für sich und beinhalten eine uns bislang nicht deutlich gewordene Brisanz.

Milena Stillfried hat in ihren Studien ( dazu wurden 13 Wildschweine mehrere Monate mit GPS-Halsbändern ausgestattet) zu den Stadtschweinen Berlins herausgefunden, dass „die urbanen Wildschweine oft in unmittelbarer Nähe zu Straßen, stark besuchten Badestellen oder in Gärten mitten in Siedlungsgebieten ihre „Verstecke“ haben „und nachts um die Häuser“ ziehen. Da Stadtschweine schnell lernen, dass vom städtischen Lebensraum und von Menschen normalerweise keine Gefahr ausgeht, tolerieren sie laut Stillfried , dass Menschen sich ihnen teilweise beachtlich nähern können.
Umgekehrt möchte ich dem hinzufügen, dass die intelligenten Schweine auch von sich aus distanzloser werden, vor allem dann, wenn sie angefüttert oder angelockt wurden.

Vorläufiges Fazit und weitere Überlegungen:

Angesichts des exponentiellen Wachstums und der Präsenz vieler quiekender, grunzender und lebensfreudiger Stadtschweine in unserem Wohngebiet mit den daraus resultierenden, immer wieder aufs Neue verursachten, teilweise erheblichen Schäden in unseren Gärten bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass mehr zu tun ist, als nur auf eine ideelle Unterstützung der Stadt zu hoffen und zu warten.

1. Bei dieser Größenordnung der vorhandenen Problematik und angesichts der explosionsartigen Vermehrungsrate handelt es sich auch ab einem bestimmten Zeitpunkt um ein Problem der öffentlichen Ordnung, die teil- und zeitweise gestört ist, spätestens dann, wenn die Schweine bis zum Stadtfriedhof vorgedrungen sind und sich auch tagsüber aus ihren Einständen herauswagen.

Der Sicherheitsaspekt wird bislang meines Erachtens zu wenig berücksichtigt. Mit einer so schnell ansteigenden Population von Wildschweinen steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Kontakten und möglichen Kollisionen zwischen Tier und Mensch.
Wir Tübinger Stadtmenschen haben, mit Ausnahme von Förstern und Jägern, sowohl zu wenig Erfahrung mit Wildschweinen und ihrem arttypischen Verhalten, als auch keine Vorstellung davon, wie wir bei Konfrontationen mit distanzlosen und angefütterten Tieren umgehen können und sollen.

2. Auch wenn wir als private Grundstücksbesitzer bezüglich den von Wildtieren verursachten Schäden, juristisch gesehen in der Selbsthaftung stehen, ist die Komplexität der auslösenden Ursachen (z.B. milde Winter, üppigstes Futterangebot durch extensive Landwirtschaft und damit verbunden gestiegene Vermehrungsrate der Tiere, jahrzehntelanges Füttern der Tiere in den Forsten, teilweise unzureichende und falsche Bejagung, Verhinderung einer Testung des Mittels „Improvac“ zur chemischen Kastration von Keilern1) derart, dass wir in keinem einzigen Punkt initiativ verantwortlich sind für diese Ursachen. Dennoch sind wir die Leidtragenden und die Geschädigten und bekommen Schäden nicht ersetzt.
Ganz anders als beispielsweise in der Landwirtschaft, deren Interessenverbände mit denen der Jägerschaft bis ins Detail das Vorgehen der Schadenregulierung ausgehandelt haben. Somit bekommt auch jeder Nebenerwerbslandwirt, der nicht vom Anbau seiner Aussaaten lebt, Ausfälle durch Wildschaden komplett ersetzt.

3. Die bereits existierende, hiesige Problemlage ist in kurzer Zeit durchaus vergleichbar mit der anderer Städte und Gemeinden (wie beispielsweise Mainz, Weimar, Hamburg, Berlin), die eigens für das Wildtiermanagement Stadtjäger angestellt haben.
Es leuchtet ein, dass Verantwortliche der Stadt wie der Leiter des Ordnungsamtes, der hiesige Revierförster und Fachleute wie der Wildtierbeauftragte des Landkreises Tübingen den Schusswaffengebrauch trotz Ausnahmegenehmigung aufgrund der Bebauung und den unübersichtlichen Gegebenheiten des Geländes ablehnen.
Jedoch möchte ich zu bedenken geben, dass Stadtjäger auch anderes können und machen, als nur das Reduzieren der Wildtiere mittels Erschießen.2

Wenn wir nicht abwarten wollen, bis uns dieses Problem völlig über den Kopf wächst und wir gar keinen Einfluss mehr auf die explosionsartige Vermehrung der Wildschweine hier im Stadtgebiet nehmen können, dann ist es jetzt allerhöchste Zeit, sich über mögliche und notwendige Maßnahmen zu verständigen.
Den Tübinger Bürgern nur Gelassenheit und Entspannung zu raten und bezüglich einer notwendigen Zäunung der zu schützenden Gärten über eine ideelle Unterstützung nachzudenken, ist anerkennenswert, reicht aber bei Ausweitung der Problematik nicht aus. Das wird dem Gesamtproblem nicht gerecht.


1. "Improvac" ist seit 2009 in Europa zugelassen und wird in Mastschweinebetrieben längst verwendet. (DIE ZEIT, Fritz Habekuss, "Angst vor der wilden Sau", 15.02.2018
2. Wen es interessiert, was Stadtjäger für eine Ausbildung haben, kann sich unter www.jagd-natur-wildtierschützerverband.de, Stichwort 'Stadtjäger' informieren.